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Verhaltenstraining
Dr. Johannes Streif

 

 

 

 




 

Über die Ursachen der Hyperkinetischen Störung ist seit der ersten umfassenden Beschreibung der Symptome durch George F. Still vor rund einem Jahrhundert viel gerätselt und geforscht worden. Dabei standen über die Jahre wechselnde Aspekte der Verhaltensstörung im Mittelpunkt. Bereits Still ging jedoch davon aus, dass es sich bei der von ihm in Universitätsvorlesungen dargestellten Symptomatik um die Folgen einer Besonderheit des Gehirns handelte. Was er in der Fachsprache seiner Zeit einen "Defekt der moralischen Kontrolle" nannte, konnte er anhand von 43 Fällen - in der Mehrzahl Jungen - verdeutlichen: Verweigerungshaltung, extreme Emotionalität, eingeschränkte Daueraufmerksamkeit und ungenügendes regelgeleitetes Verhalten. Bei der Auswahl der Kinder hatte er streng darauf geachtet, dass sie weder geistig behindert waren noch aus chaotischen oder lieblosen Familienverhältnissen stammten. Still folgerte daraus, dass das auffällige Verhalten der beobachteten Kinder nicht durch die Umgebung hervorgerufen worden sein könne, sondern einer mangelnden Entwicklung der willentlichen Hemmung des Verhaltens entspringe. Für diese ungenügende Kontrolle machte er noch unbekannte hirnorganische Defizite verantwortlich. (1)

 

"[...] the control of activity in conformity with moral consciousness is markedly defective." Still (1902)

Der Stand der Forschung 2002

Im folgenden finden Sie eine Beschreibung aktueller neurobiologischer Befunde zur Hyperkinetischen Störung. Die Darstellung stützt sich dabei im wesentlichen auf eine Übersichtsarbeit von Gunther Moll und Aribert Rothenberger, die 2001 in einem Sonderheft der Kinderärztlichen Praxis mit dem Titel "Unaufmerksam und hyperaktiv" veröffentlicht wurde. (2) Passagen, die über diese Quelle hinausgehen sind mit entsprechenden Literaturverweisen gekennzeichnet.

 

Genetik

Die Erbinformation lebender Zellen und Organismen - das sogenannte Genom - ist in der DNA (englisch: Desoxyribo-Nucleic- Acid) oder DNS (Desoxyribo-Nuklein-
Säure
) enthalten. Der chemische Aufbau und die molekulare Struktur der DNA ist in allen Lebewesen identisch, gleichgültig ob es sich um Mensch, Tier oder Pflanze handelt. 

Die DNA ist ein unverzweigtes Fadenmolekül mit einem Grundskelett aus Zucker und Phosphorsäure und vier verschiedene organische Basen. Diese "Buchstaben" stellen die Erbinformation dar. Die Erbinformation einer menschlichen Zelle besteht aus ca. 3 Milliarden dieser Buchstaben, wobei jeweils eine Hälfte davon von der Mutter und vom Vater stammt.

Bis heute beruhen Annahmen zur genetischen Veranlagung von bestimmten Verhaltensweisen oder Krankheiten auf einer nicht immer tragfähigen Basis: einer überzufällig häufigen Übereinstimmung von einzelnen Symptomen unter Verwandten und/oder Trägern ähnlicher genetischer Besonderheiten. Variieren die Symptome mit den Genen, so geht man davon aus, dass die Gene zumindest einen Teil der Varianz erklären. Je schwächer der Zusammenhang ist, desto stärker werden die gleichen Symptome unterschiedlicher Menschen durch andere Faktoren beeinflusst.

Dieses Modell ist durchaus überzeugend, sofern die Gene als Träger der Erbinformation das Leben tatsächlich auf immer gleiche Weise bestimmen. Um auszuschließen, dass bei vergleichbarer genetischer Ausstattung nicht die Umwelt - z.B. die Lebensbedingungen der prägenden ersten Lebensjahre - ein Symptom hervorgebracht hat, suchen Wissenschaftler daher nach Menschen, die bei möglichst gleichen Genen in unterschiedlichen Umwelten aufwuchsen. Im Idealfall handelt es sich dabei um eineiige Zwillinge, die sich seit ihrer Geburt getrennt voneinander entwickelten. Studien, die auf eine größere Gruppe separierter Zwillinge zurückgreifen können, sind sehr selten. Manche verblüffenden Befunde haben sich außerdem in der Vergangenheit als "frisiert" oder gar frei erfunden herausgestellt. (3)

Dennoch geht man heute davon aus, dass rund 80% des für die Hyperkinetische Störung eigentümlichen Verhaltens auf die genetische Veranlagung eines Menschen zurückzuführen sind. Diese Zahl ist allerdings ein Schätzwert, der sich aus der Häufigkeit von betroffenen eineiigen Zwillingspaaren ergibt. Das heißt: von 10 Zwillingspaaren mit zumindest einem hyperkinetischen Kind wurde in 8 Fällen auch beim Geschwisterkind eine Hyperkinetische Störung diagnostiziert. Daraus darf allerdings nicht der Schluss gezogen werden, dass die Symptome der betroffenen Kinder in ihrer Mehrzahl allein durch die genetische Veranlagung bedingt sind. Gene sind lediglich ein Informationsmuster, aus dem heraus sich das Leben in Wechselwirkung mit der Umwelt entwickelt. Die Psyche und ihre Störungen sind das Resultat eines vielschichtigen Prozesses, bei dem die natürliche Grundlage der Hyperkinetischen Störung nur ein Faktor unter vielen ist.

 

Einige Studien legen nahe, dass bestimmte Gene an der Ausbildung einer Hyperkinetischen Störung zumindest beteiligt sind. Dazu zählen nach derzeitigem Wissensstand v.a. das Dopaminrezeptor-D4-Gen sowie das Dopamintransporter-Gen. (4) Auch diese Befunde gelten jedoch nur unter Vorbehalt, denn sie geben gleichfalls statistische Zusammenhänge wieder, die nicht erkennen lassen, wie man sich eine störungsspezifische Ausprägung der genetischen Veranlagung sowie ihre Beeinflussung durch die Umwelt vorzustellen hat. Von einem Gentest der Hyperkinetischen Störung ist die Medizin sicher noch viele Jahre intensivster Forschung entfernt.

Nicht zuletzt lässt das überzufällig häufige Auftreten verschiedener - mutmaßlich zumindest teilweise biologisch begründeter - Störungen des Lernens und Verhaltens in Verbindung mit der Hyperkinetischen Störung eine teilweise gemeinsame genetische Anlage annehmen. Doch auch hier gilt: Ähnliche oder gar gleiche Symptome können in den verschiedenen Kontexten ihres Auftretens unterschiedliche Ursachen haben. Kontext fasst dabei die jeweiligen Bedingungen zusammen - d.h. alleiniges Auftreten der Störung oder in Verbindung mit anderen Krankheiten, Auftreten an bestimmten Orten (Familie, Schule, Urlaub) oder generell, Auftreten v.a. unter Stress oder auch in Zeiten geringer psychischer Anspannung. So weisen Symptome der motorischen Unruhe oder auch der Unaufmerksamkeit auf zahlreiche ganz unterschiedliche denkbare Ursachen hin. Das gleiche gilt für das gemeinsame Auftreten von Symptomen verschiedener Störungen. Da mit Vorliegen einer Hyperkinetischen Störung die Wahrscheinlichkeit von Lern- und Leistungsstörungen deutlich steigt, erscheint es naheliegend, dass z.B. die Legasthenie einige ihrer Entstehungsbedingungen mit der Hyperkinetischen Störung teilt. Es könnte aber auch sein, dass ein wesentlicher Teil des Zusammenhangs auf das ungünstige Lernverhalten hyperaktiver Kinder zurückzuführen ist, die aus diesem Grund das Lesen und Schreiben nur sehr langsam erlernen und/oder ihre diesbezüglichen Bemühungen nach einigen deprimierenden Schuljahren ganz aufgeben. Gen- und Umweltwirkung können aus der Perspektive unseres heutigen Wissens nicht getrennt betrachtet werden.

Selbst die Abfolge des ersten Auftretens von Symptomen der Hyperkinetischen Störung lässt auf abweichende genetische Faktoren schließen. Treten beispielsweise Tics (vgl. Tourette-Syndrom) nach der Hyperaktivität auf, so handelt es sich wahrscheinlich um das gemeinsame Vorliegen getrennt zu sehender Störungen, während Hyperaktivität als (häufige) Folge einer Tic-Störung auf eine gemeinsame genetische Grundlage beider Symptomgruppen (Syndrome) schließen lässt. Aus der genetischen Disposition, d.h. der biologischen Ausstattung eines Menschen bei der Geburt, kann man seine Entwicklung nicht vorhersagen. Und das liegt nicht allein an unserem heute noch sehr begrenzten genetischen Wissen. Es ist ein Naturgesetz des Lebens, dass es nicht nach festen Plänen reift, sondern sich unter dem Einfluss der Umwelt entwickelt, um sich immer wieder neu an veränderte Bedingungen anpassen zu können. 

Chromosomen

Die DNA befindet sich in Chromosomen verpackt im Zellkern jeder Zelle und ist pro Zelle insgesamt etwa zwei Meter lang.

Die DNA mit ihrer Information wird nicht nur von Generation zu Generation vererbt, sondern muss auch bei jeder Zellteilung verdoppelt und an die Tochterzellen weitergegeben werden.

Die Erbinformation ist zwar in der Basenabfolge der DNA - den "Buchstaben" - gespeichert. Ihre Wirkung entfaltet sie jedoch nur in den Proteinen (Eiweiße). Auch Proteine sind Fadenmoleküle aus verschiedenen Bausteinen, den Aminosäuren, deren Reihenfolge die Eigenschaften des Proteins bestimmt. Mit Hilfe des sogenannten genetischen Codes - drei Basen der DNA entsprechen jeweils einer Aminosäure im Protein - wird die Basenabfolge der DNA auf die Abfolge der Aminosäuren im Protein übertragen.

Alle Unterschiede zwischen verschiedenen Tier- und Pflanzenarten, aber auch zwischen Lebewesen derselben Art beruhen auf immer gleich kodierten Unterschiedenen in den Proteinen, die wiederum in der Basenabfolge der DNA gespeichert sind. Dieser Vererbungsmechanismus ist die Grundlage aller Lebewesen auf diesem Planeten.

 

Evolution und Entwicklung

Im Rahmen der Diskussion um die genetischen Grundlagen der Hyperkinetischen Störung ist seit dem Erscheinen des Buches Attention Deficit Disorder - A Different Perception (1993) des Amerikaners Thom Hartmann eine Auseinandersetzung darüber entstanden, ob die Defizite der Hyperkinetischen Störung als überkommene Vorteile einer früheren Zeit zu verstehen seien. Kurz gesagt nimmt der Autor - selbst Vater eines hyperaktiven Kindes - an, dass Gesellschaften der Frühzeit eine Unterscheidung in Jäger und Sammler kannten. Während das Wesen, das er den Sammlern unterstellt, dem umsichtigen Verhalten in modernen bürokratischen Industriegesellschaften entspreche, seien die hyperaktiven Menschen von heute Nachkommen der Jäger. (5) Nachdem das Buch in den USA große Popularität erreichte, haben amerikanische Psychiater die Theorien von Hartmann aufgegriffen und recht wohlwollend diskutiert. (6) Auch Moll und Rothenberger erwähnen diese Sichtweise in ihrem Artikel in der Kinderärztlichen Praxis.

Ungeachtet des Umstandes, dass Hartmanns Idee einleuchtend ist und ihren Zweck, nämlich eine für (s)ein Kind verständliche Erklärung der Hyperkinetischen Störung und ihrer Folgen zu bieten, durch anschauliche Vergleiche erfüllt, ist die empirische Grundlage seiner Theorie dünn. Das gleiche gilt für die wissenschaftlich verbrämten Erläuterungen der amerikanischen Psychiater. So geht Hartmann von einer sehr bildhaft-konkreten Vorstellung frühgeschichtlicher Gesellschaften aus, für deren mutmaßliche Struktur wir kaum überlieferte Zeugnisse haben. Mehr noch: Selbst wenn damalige Jäger und Sammler tatsächlich so lebten, wie Hartmann sich das vorstellt, sind die beobachteten Defizite unaufmerksamer und hyperaktiver Menschen für die Jagd kein Vorteil. Dabei bleibt noch unberücksichtigt, dass die Zivilisationsgeschichte der vergangenen Jahrhunderte den Menschen vom Mittelalter ins Computerzeitalter katapultierte - mit vielfältigen Anpassungen unserer Wahrnehmung und Informationsverarbeitung an neue Umweltbedingungen. Es ist daher unverständlich, warum beispielweise die Intelligenzleistung der Menschen in den Industriegesellschaften, die auf vielfältigen und höchst komplizierten Prozessen im Gehirn beruht, seit Beginn der Intelligenzmessung von Generation zu Generation beständig ansteigt, während die Anpassung von "Jägern" an die seit der Antike bestehenden Schriftkulturen über mehrere tausend Jahre fehlgeschlagen sein soll. Angesichts der beim "normalen" Menschen hochadaptiven, d.h. auf eine stets verbesserte Umweltanpassung ausgerichteten Hirnfunktionen ist es einleuchtender, von einem - nichtsdestotrotz erblichen - Hirnfunktionsdefizit auszugehen, das seine Ursache gerade nicht in einem evolutionären, d.h. natürlich zu optimierenden Vorgang der Anpassung hat.

 

Wenn Sie bis hierher unvoreingenommen gelesen haben, hoffe ich, dass Sie sich inzwischen mit dem Gedanken angefreundet haben, dass ADD weder ein Mangel noch eine Störung ist. Es ist statt dessen eine ererbte Kombination von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Persönlichkeitsmerkmalen, die einem Jäger, Krieger oder Fährtensucher zum Erfolg verhelfen und einen Farmer oder Buchhalter mit Sicherheit in die Katastrophe führen würden.

Thom Hartmann
ADD - Eine andere Art, die Welt zu sehen
Schmidt-Römhild (1997) S.43

Zur Kritik an Hartmanns Buch vgl. die Rezension

Ernst Haeckel
Zwölfter Vortrag.
Entwickelungsgesetze der organischen Stämme und Individuen.
Phylogenie und Ontogenie (7)

Inhaltsverzeichnis:

Entwickelungsgesetze der Menschheit: Differenzierung und Vervollkommnung. Mechanische Ursache dieser Grundgesetze. Fortschritt ohne Differenzierung und Differenzierung ohne Fortschritt. Entstehung der rudimentären Organe durch Nichtgebrauch und Abgewöhnung. Ontogenesis oder individuelle Entwickelung der Organismen.
Allgemeine Bedeutung derselben. Ontogenie oder individuelle Entwickelungsgeschichte der Wirbelthiere, mit Inbegriff des Menschen. Eifurchung. Bildung der drei Keimblätter. Entwickelungsgeschichte d. Centralnervensystems, der Extremitäten, der Kiemenbogen und des Schwanzes bei den Wirbelthieren. Ursächlicher Zusammenhang und Parallelismus der Ontogenesis und Phylogenesis, der individuellen und der Stammesentwicklung. Ursächlicher Zusammenhang und Parallelismus der Phylogenesis und der systematischen Entwickelung. Parallelismus der drei organischen Entwickelungsreihen.

 

Seit der berühmten Aussage des Jenaer Arztes und Zoologen Ernst Haeckel, die Ontogenese sei eine Rekapitulation der Phylogenese, haben sich viele Wissenschaftler, darunter zahlreiche Psychiater und Psychologen, diese Sichtweise zueigen gemacht. Ontogenese, das ist die Seinswerdung des Menschen, das heißt seine Entwicklung von der ersten Zelle im Leib der Mutter bis zu seiner vollen Reife und zum Tod. Phylogenese ist demgegenüber die stammesgeschichtliche Entwicklung, also gewissermaßen der umgekehrte Stammbaum eines jeden Menschen bis in die Frühzeit der Menschheit und davor. Haeckel vertrat die Ansicht, dass das Wachsen von Körper und Geist entsprechend den Stadien der Stammesgeschichte verlaufen würde: die Eizelle entspräche dem Beginn des Lebens, der Fötus einem Tier, das Baby einem Menschen der Frühzeit, das Kind einem solchen der Steinzeit - und erst der erwachsene Mensch würde in seiner individuellen Entwicklung jenen Gipfel erreichen, den die Menschheit stammesgeschichtlich in den abendländischen Gesellschaften erreicht habe. (7) Obwohl Haeckel kein Vertreter der Darwin'schen Vorstellungen vom Sieg des Stärkeren in der Evolutionsgeschichte - der sogenannten "natürlichen Selektion" - war, wurde er von den Rassentheoretikern des Dritten Reiches vereinnahmt. Dennoch gab und gibt es auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch Theorien, die v.a. in der Entwicklung der Affekte sowie des Denkens an Haeckels Überlegungen anknüpfen. (8)

Inzwischen sind die Ähnlichkeiten, aber auch die Unterschiede in der Entwicklung von Mensch und Menschheit anhand von vielen Details wissenschaftlich untersucht und dargestellt worden. Dabei hat sich für die Evolution gezeigt, was für die Sozialisation gilt: Entwicklung ist ein Wechselspiel von Reifungsfaktoren und Umweltbedingungen. Und das gilt sowohl für die "normale", d.h. allgemein übliche Entwicklung, als auch für die abweichende Entwicklung unter dem Vorzeichen einer Störung. Die Hyperkinetische Störung eines Menschen ist nicht unabhängig von seinem angeborenen Temperament zu begreifen. Sie kann in ihrer konkreten Symptomatik jedoch genauso wenig ohne Rückgriff v.a. auf die Entwicklungsbedingungen der Kindheit jedes einzelnen Menschen erklärt werden. Die Entwicklung eines Kindes beginnt nicht bei Null - die Stammesgeschichte des Menschen ist in jedem Stadium seines Wachsens umfassend gegenwärtig, ohne in allen Details nochmals durchlebt werden zu müssen oder gar für die Gegenwart stets entscheidend zu sein.

In diesem Sinne zeigen sich bei der Hyperkinetischen Störung sowohl Entwicklungsverzögerungen als auch Entwicklungsabweichungen. So weisen EEG-Befunde auf Besonderheiten in den Frequenzbändern der Hirnströme hin. Die für das Alter der hyperaktiven Kinder zu hohen Anteile langsamer (Theta-)Wellen sind auch bei Kindern mit anderen externalisierenden, d.h. nach außen gerichteten, meist aggressiven Verhaltensweisen gefunden worden. Im Jugendalter konnte bei den Betroffenen jedoch kein Unterschied mehr zu den EEG-Befunden nicht verhaltensauffälliger Jugendlicher beobachtet werden. Grundlage dieser Entwicklungsverzögerung ist vermutlich eine späte Ausreifung sensorischer Systeme zur Reizweiterleitung und -verarbeitung bei Wahrnehmungsprozessen. Entwicklungsabweichungen fanden sich demgegenüber v.a. bei der frontalen, d.h. die vorderen Bereiche des Gehirns betreffenden Aktivität. Sie wurden jedoch nicht bei allen hyperaktiven Kindern beobachtet. Obwohl sie offenbar ohne erkennbaren Wert für die normale Hirnentwicklung sind, ist unklar, warum diese Abweichungen auftreten und inwieweit sie mit den Symptomen der Hyperkinetischen Störung zusammenhängen. 

Wie im Fall der genetischen Disposition ist die Medizin von einer Diagnostik der Hyperkinetischen Störung anhand von physiologisch messbaren Entwicklungsdaten weit entfernt. Die Bedeutung des EEG im Zusammenhang mit der Störung liegt v.a. in der Diagnose einer Epilepsie, deren Behandlung wichtig ist und insbesondere für die medikamentöse Therapie der Hyperaktivität erhöhte Aufmerksamkeit verlangt.

 

Neurophysiologie und Neuropsychologie

Endlich kann ich das Vergnügen haben, Ihnen einen Entwurf meiner Abhandlung: Über die Verrichtungen des Gehirns, und über die Möglichkeit, mehrere Fähigkeiten und Neigungen aus dem Baue des Kopfes und Schedels zu erkennen, mitzutheilen.

Franz Joseph Gall
Brief an Joseph Freiherr von Retzer (1798)
Gall war der Begründer der Phrenologie, einer Lehre, die erstmals bestimmtes Verhalten in einzelnen Bereichen des Gehirns verortete.

Neurophysiologische Vorgänge sind Abläufe im Gehirn, die mit physikalisch messbaren Veränderungen einhergehen. Dazu zählen alle Formen der Hirnaktivität, die z.B. mit EEG (Hirnstrommessung) oder bildgebenden Verfahren (z.B. PET - Positronen-Emissions-Tomographie - eine Form der Computer-Tomographie) beobachtet werden können. Darüber hinaus soll in diesem Abschnitt auch kurz auf untersuchte Abweichungen der Hirngestalt, also auf unterschiedliche Größen und Formen bestimmter Bereiche des Gehirns eingegangen werden, da auch sie neurophysiologische Informationen darstellen.

Bereits seit mehr als 20 Jahren werden Forschungen angestellt, die abweichende Hirnstrukturen bei Vorliegen eines Hyperkinetischen Syndroms zeigen sollen. Tatsächlich sind solche Befunde beschrieben worden: im Bereich der vorderen Großhirnrinde, des Corpus callosum (Balken, der beide Seiten der Großhirnrinde miteinander verbindet), des Nucleus caudatus (Teil des Striatums, das für die Steuerung des Bewegungsapparates wichtig ist) sowie des Kleinhirns. Die bisherigen Erkenntnisse sprechen für eine abweichende Entwicklung des Gehirns bei hyperkinetischen Menschen. Allerdings waren die untersuchten Patientengruppen aufgrund von Aufwand und Kosten der dazu eingesetzten bildgebenden Verfahren i.d.R. sehr klein. Ob der meist verminderten Ausdehnung bestimmter Hirnstrukturen im Fall von an der Hyperkinetischen Störung leidenden Kindern tatsächlich eine auch im Erwachsenenalter nachweisbare systematische Abweichung in der Hirnentwicklung zugrunde liegt, ist noch offen. Der Umstand, dass viele Steuerungsfunktionen - z.B. nach Schädigung von Arealen durch Unfälle - durch andere, ursprünglich nicht dafür gebrauchte Bereiche des Gehirns übernommen werden können, zeigt, wie groß gerade die ortsübergreifende Wandlungsfähigkeit des menschlichen Gehirns ist. Insbesondere im Kindes- und Jugendalter, das sich durch eine besonders intensive (Um-)Strukturierung von Hirnfunktionen auszeichnet, sind derartige Größen- und Formbefunde häufig nicht stabil oder stehen trotz Stabilität in keinem festen Zusammenhang mit bestimmten Verhaltensweisen.

 

Neben den Informationen über die Größe und Form verschiedener Hirnareale, die an lebenden  Menschen i.d.R. nur durch bildgebende Verfahren gewonnen werden können, sind für die Hyperkinetische Störung vor allem physiologische Daten interessant. Diese kann man heute gleichfalls durch bildhafte Aufnahmen des Gehirns erheben, aber beispielsweise auch durch die Messung von Hirnströmen, Hautleitfähigkeit, Herzschlag oder Reaktionszeiten. Interessant sind solche Ergebnisse, weil Impulsivität, hyperkinetisches Verhalten und Defizite in der Aufmerksamkeitskontrolle auf abweichende Steuerungsfunktionen hinweisen, die möglicherweise nicht nur im Alltag beobachtbar sind, sondern von der Mehrheit der Betroffenen unter immer gleichen Bedingungen stets wieder gezeigt werden. In diesem Fall müsste man von einer generellen Beeinträchtigung der Exekutiven Funktionen ausgehen - jener Steuerungsprozesse, die im Frontalhirn, d.h.  in der vorderen Großhirnrinde angesiedelt sind.

Ein solches generelles Selbststeuerungsdefizit wurde bereits von Still 1902 angenommen, der erkannt hatte, dass das Verhalten der von ihm beschriebenen Kinder dem von Unfallopfern mit Schädigungen bestimmter Bereiche des Gehirns ähnlich war. (1, s.o.) Gerade diese Ähnlichkeit führte schließlich dazu, der Störung selbst den Namen Minimal Brain Damage (Minimaler Hirnschaden) bzw. später auch Minimale Cerebrale Dysfunktion zu verleihen. Das "minimal" trug dabei dem Umstand Rechnung, dass man diesen mutmaßlichen Schaden bzw. die vermutete falsche Funktion einzelner Bereiche des Gehirns nicht messen und daher auch nicht beweisen konnte. Die modernen computerberechneten Aufnahmen von Hirnschichten erlauben es heute jedoch, die vor rund hundert Jahren erstmals diskutierten physiologischen Grundlagen der Störung abzubilden.

Im Mittelpunkt steht dabei die Verminderte Aktivität in Bereichen des Frontalhirns sowie der Basalganglien, zu denen Striatum (u.a. mit dem Nucleus caudatus), Pallidum, Substantia nigra und der Nucleus subthalamicus zählen. Während das Frontalhirn für die Exekutiven Funktionen verantwortlich ist, steuern die Basalganglien v.a. die motorischen Prozesse, wobei den inhibitorischen, d.h. das Verhalten hemmenden Funktionen des Dopamin-Stoffwechsels hier eine entscheidende Rolle zukommt. Aus vielen Studien nicht allein zum Hyperkinetischen Syndrom wissen wir, dass insbesondere das Striatum über den Botenstoff Dopamin bei der Ausbildung von Erkrankungen der Bewegungsabläufe beteiligt ist, so u.a. auch beim Morbus Parkinson, verschiedenen Formen der Chorea ("Veitstanz") oder sogenannten Dyskinesien durch die neuroleptische Behandlung von Schizophrenien. Da der Dopamin-Stoffwechsel auch die Aktivität des Frontalhirns beeinflusst, zeigen neurophysiologische Studien bei Hyperkinetikern eine Minderdurchblutung dieses für die Exekutiven Funktionen zuständigen Hirnareals, während der sensomotorische Kortex, der in der Hirnrinde Bewegungsinformationen verarbeitet, eher zu stark und diffus durchblutet zu sein scheint. Die Beziehung zwischen der Aktivität in einzelnen Bereichen v.a. des Frontalhirns einerseits und hyperkinetischem Verhalten andererseits variiert jedoch zwischen den Geschlechtern und ändert sich während der Entwicklung vom Kindes- ins Erwachsenenalter. (9)

Die geringere Aktivität des Frontalhirns und die damit verbundene Einschränkung der Exekutiven Funktionen bringt im Alltag eine Reihe von kognitiven Defiziten mit sich. Insbesondere der amerikanische Neuropsychiater Russel A. Barkley hat sich der Beschreibung dieser Mängel angenommen: Beeinträchtigung des Arbeitsgedächtnisses, Behinderung der bewussten Handlungsplanung und -steuerung, eingeschränkte Selbstregulation von Stimmung, Motivation und Erregung sowie eine reduzierte Rekonstitutionsfähigkeit, d.h. eine verminderte Fähigkeit zur Analyse und Neuordnung vielschichtiger Strukturen und Abläufe. (10) Klinische Beobachtungen haben dabei ergeben, dass sich die Defizite in den Exekutiven Funktionen vor allem in Stresssituationen zeigen, die angesichts komplexer, schwer zu durchschauender Aufgaben mit mehreren zu beachtenden Aspekten Hyperkinetikern die Steuerung der Aufmerksamkeit sowie die Kontrolle des eigenen Verhaltens erschweren. Wissenschaftler vermuten daher, dass eine spezifisch verminderte Fähigkeit zur Fokussierung, d.h. Konzentration der Hirnaktivität auf bestimmte Aspekte einer Situation nicht nur die Aufmerksamkeit belastet, sondern insbesondere eine zielgerichtete Hemmung der Motorik verhindert. 

Zusammenfassend deuten die aktuellen neurophysiologischen und neuropsychologischen Befunde auf eine Einheit von abweichender Ausbildung einzelner Hirnareale, grundsätzlicher Mindererregung des frontalen Kortex sowie nicht hinreichender situationsabhängiger Aktivierung von Hirnfunktionen bei Vorliegen einer Hyperkinetischen Störung hin. Inwieweit diese besondere physiologische Disposition der betroffenen Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen auf stabile genetische Ursachen zurückzuführen oder aber durch Einflüsse der Umwelt v.a. in der Kindheit veränderbar sind, bleibt weitgehend ungeklärt. Im Rahmen umfassender neuer Erkenntnisse über die Entwicklung des Gehirns zeichnet sich jedoch ein übergreifendes Verständnis von Anlage und Prägung ab. Abhängig von einem Ausgangsniveau der Selbstregulation, die man als das angeborene Temperament bezeichnen kann, kommt Umweltbedingungen wie Reizüberflutung und v.a. ungenügend strukturiertem elterlichem Erziehungsverhalten ein erheblicher verstärkender Einfluss auf die Ausbildung abweichender Hirnfunktionen zu. 

Die Resultate der Münchener  Gruppe zeigten aber nicht nur die Störung der Dopamin-
Transporter, sondern belegten erstmals in vivo und intraindividuell bei Patienten  mit ADHS, dass der gestörte Stoffwechsel durch Methylphenidat korrigiert wird: Unter Gabe von 3 x 5  mg täglich fand sich nach vier Wochen bei allen Patienten eine deutliche Reduktion der Dopamintransporter-
Konzentrationen, die bereits unter dieser niedrigen Dosis im Mittel sogar  niedriger lagen als beim Kontrollkollektiv. Bei Normalpersonen  konnten Volkow et al. in einer PET- Untersuchung mit [C-11]Cocain  gleichfalls eine Abnahme der Dopamintransporter unter Methylphenidat nachweisen. Zusammenfassend bestätigen diese neuesten SPECT-Untersuchungen die Vermutung, dass bei der ADHS  eine spezifische Störung des Dopamin-
Systems im Striatum vorliegt,  die sich durch Einnahme von Stimulanzien korrigieren lässt.

Klaus-Henning Krause, Stefan Dresel & Johanna Krause
Neurobiologie der Aufmerksamkeitsdefizit-/
Hyperaktivitätsstörung
In: Psycho 26 (2000) S.204

 

Hirnstoffwechsel - Dopamin und Noradrenalin

Die größte öffentliche Aufmerksamkeit auf der Suche nach den Ursachen der Hyperkinetischen Störung gilt derzeit dem Stoffwechsel im Gehirn, hier insbesondere dem oben bereits angesprochenen Neurotransmitter Dopamin. Neurotransmitter sind Botenstoffe, die im Gehirn für die Kommunikation zwischen den Gehirnzellen, den Neuronen, sorgen. Sie werden im Körper selbst hergestellt und sind am Informationsaustausch innerhalb des gesamten Nervensystems beteiligt. Das Dopamin gehört zu einer Gruppe von Aminen, die Catecholamine genannt werden und u.a. die Aktivierung des Zentralnervensystems bewirken. Es wird über ein Zwischenstadium aus Tyrosin, einer natürlichen Aminosäure hergestellt, und ist seinerseits die Vorstufe von Noradrenalin und Adrenalin. Dopamin ist zudem entscheidend für die Steuerung von Bewegungsabläufen.

Eine Reihe von aufwendigen wissenschaftlichen Untersuchungen hat in den letzten Jahren gezeigt, dass Erwachsene, die Symptome der Hyperkinetischen Störung zeigen, eine um ca. 70% erhöhte Zahl an Dopamintransportern im Striatum aufweisen. (9) Das Striatum gehört wie die Substantia nigra, dem Produktionsort des Dopamin im Gehirn, zu den Basalganglien (s.o.). Da die Dopamintransporter für den Rücktransport von Dopamin aus dem Spalt zwischen zwei miteinander verbundenen Nervenenden verantwortlich sind und durch ihre Häufigkeit die Reizweiterleitung beeinflussen können, wurde vermutet, dass dieser Überschuss an Dopamintransportern die Aktivierung des Frontalhirns behindert. Wird nämlich das freie Dopamin im Spalt zu schnell wieder abtransportiert, kann nicht genug Dopamin am anderen Ende des Spaltes an die nächste Zelle andocken und sie aktivieren. Für diese Dopaminmangelhypothese spricht auch die Wirkung der gängigsten Medikamente gegen die Hyperkinetische Störung, der Psychostimulanzien. Der weilweit am häufigsten eingesetzte Wirkstoff Methylphenidat (u.a. Ritalin bzw. Medikinet) sorgt zwar zu 10-15% dafür, dass mehr Dopamin in den Spalt abgegeben wird, wirkt aber zu 85-90% über die Blockade des Dopamintransporters, wodurch der Botenstoff  länger im Spalt verbleibt und wirken kann.

Erst jüngst haben die Studien von Gunther Moll und Kollegen am Göttinger Universitätsklinikum Hinweise darauf erbracht, dass möglicherweise keine pauschale Untererregung des Nervensystems durch Dopaminmangel die Hyperkinetische Störung kennzeichnet, sondern vielmehr eine übermäßige Ausbildung des dopaminergen Systems. (11) Moll und seine Mitarbeiter interpretieren die erhöhte Anzahl an Dopamintransportern nicht als Hinweis auf eine unnormal starke Rücktransportaktivität, sondern nehmen einen natürlichen Zusammenhang zwischen der Dichte des dopaminergen Systems und der Häufigkeit der für dieses System notwendigen Transporter an. Ein solcher Zusammenhang wird durch tierexperimentelle Befunde gestützt, bei denen - entsprechend der Untersuchungen von Dresel und Kollegen an Menschen (9) - Ratten Methylphenidat verabreicht wurde. Allerdings unterschieden die Wissenschaftler der Göttinger Forschergruppe zwischen kindlichen, pubertären und erwachsenen Tieren, denen sie zu unterschiedlichen Zeiten das Medikament verabreichten. Dabei beobachteten sie, dass allein die Medikamenteneinnahme im "Kindesalter" zu einer bleibenden Verringerung der Dopamintransporter führte, während die Effekte der medikamentösen Behandlung nach der Geschlechtsreife der Tiere mit Absetzen des Methylphenidats verschwanden. Da die Dichte des dopaminergen Systems bis zum Jugendalter im Rahmen der Hirnentwicklung zunimmt, sich dann aber wieder verringert, schlossen Moll und Kollegen aus ihren Beobachtungen, dass die Behandlung der kindlichen Tiere die übermäßige Ausbildung des dopaminergen Systems behinderte. Die geringere Dichte bedurfte schließlich nurmehr einer dauerhaft kleineren Zahl an Transportern. Demnach würde die erhöhte Anzahl an Dopamintransportern beim Vorliegen einer Hyperkinetischen Störung weniger auf einen Mangel als vielmehr auf einen Dopaminüberschuss zumindest in einzelnen Bereichen des Gehirns hinweisen.

Über die Interpretation der Göttinger Befunde ist seit 2001 heftig gestritten worden. Die pauschale Kritik, die zunächst v.a. an der kleinen Zahl untersuchter Tiere geübt wurde, wird der Untersuchung jedoch nicht gerecht, zumal sich bei weiteren Studien in Göttingen und anderen Labors eine Bestätigung der Ergebnisse abzeichnet. Insbesondere ein Vertreter der Göttinger Forschergruppe, der Neurobiologe Gerald Huether, hat nach Veröffentlichung der ersten Befunde mit klinisch überzogenen Aussagen Furore gemacht, indem er vor einer Parkinsongefahr bei mit Methylphenidat behandelten Kindern warnte, deren dopaminerges System sich unter Medikation möglicherweise nicht genügend ausbilden würde. (12) Während dieses Risiko gegenüber den aktuellen, nicht selten existenziellen Problemen hyperaktiver Kinder jedoch eher akademischer Natur ist, da für die Erkrankung am Morbus Parkinson weitere Faktoren eine Rolle spielen, wirft die Dopaminüberschusshypothese neue Fragen auf. Diese Fragen betreffen nicht zuletzt wiederum die Wirksamkeit der medikamentösen Behandlung, die ja vorderhand das im Spalt zwischen bestimmten Nervenzellen verfügbare Dopamin durch die Psychostimulanzien weiter vermehrt wird, obwohl bereits eine übermäßige Ausbildung des dopaminergen Systems gegeben ist.

Eine eindeutig zu beweisende Antwort darauf steht noch aus. Im Rahmen des derzeitigen Wissensstandes scheint es jedoch denkbar, dass eine generelle Übererregung einzelner Hirnareale die hohe Ablenkbarkeit hyperkinetischer Menschen bedingt, während die Dauererregung zugleich die Aktivierung hemmender Strukturen wie der Exekutiven Funktionen im Frontalkortex blockiert. Die Wirkung der stimulierenden Medikamente würde in diesem Fall durch das Überschreiten eines Schwellenwertes erreicht, wodurch es auf der Basis des Dopaminüberschusses zu einem vollständigen Verbrauch bzw. der Auflösung des Dopamins im Spalt kommen würde. Da gleichzeitig der Rücktransport des Dopamins durch die Blockierung der Dopamintransporter verhindert ist, muss erst wieder neues Dopamin gebildet werden, um das frühere (störungsspezifisch überhöhte) Erregungsniveau wiederherzustellen. Dieser Vorgang dauert ungefähr so lange wie die Wirkdauer des Methylphenidats angegeben wird: 2 bis 4 Stunden.

 

Erst in den letzten zehn Jahren ist es den Hirnforschern und Entwicklungspsychologen vor allem mit Hilfe der sogenannten bildgebenden Verfahren gelungen nachzuweisen, welch nachhaltigen Einfluss frühe Bindungserfahrungen darauf haben, wie und wofür ein Kind sein Gehirn benutzt, welche Verschaltungen zwischen den Milliarden Nervenzellen deshalb besonders gut gebahnt und stabilisiert und welche nur unzureichend entwickelt und ausgeformt werden. Dieses Wissen beginnt erst jetzt allmählich unter Kinderärzten, Psychiatern und Erziehern Verbreitung zu finden. Bis es in alle Schichten der Bevölkerung und zu allen Eltern vorgedrungen ist, werden wohl noch ein paar Jahre vergehen.

Nicht viel anders verhält es sich mit der zweiten wichtigen Erkenntnis, dass die frühkindlichen Bindungen nur der erste Schritt eines langen und komplizierten Sozialisationsprozesses sind. Im verlauf dieses Prozesses lernt jedes Kind, sein Gehirn auf eine bestimmte Weise zu benutzen. Beispielsweise indem es dazu angehalten, ermutigt oder auch gezwungen wird, bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten stärker zu entwickeln als andere, auf bestimmte Dinge stärker zu achten als auf andere, bestimmte Gefühle her zuzulassen als andere. Kinder, die in unterschiedlichen Kulturen aufwachsen, erwerben dabei z.T. sehr unterschiedliche kulturell tradierte Fähigkeiten. Die Kinder der eingeborenen des amazonischen Regenwaldes lernen auf diese Weise bis zu einhundert verschiedene Grüntöne zu unterscheiden und die der Inuit im nördlichen Polarkreis ein Dutzend verschiedene Formen von Schnee auseinanderzuhalten. Auch unsere Kinder erwerben im Verlauf dieses Prozesses all jene Fähigkeiten und Fertigkeiten, auf die es eben für das Leben in unserem Kulturkreis ganz besonders ankommt. Dadurch werden auch die dabei immer wieder aktivierten neuronalen Verschaltungen stärker und intensiver benutzt, ausgebaut und entwickelt.

Gerald Hüther &
Helmut Bonney
Neues vom Zappelphilipp
Walter (2002) S.43f.

Es erstaunt, welch skurrile und vor allem einen Wirknachweis schuldig bleibende Verfahren zum Einsatz kommen und Eltern sehr viel Geld aus der Brieftasche locken, wie zum Beispiel Bachblüten, Edu-Kinesiologie, verschiedene Eliminationsdiäten, Horchtherapien, Blicktherapien und Übungsprogramme wie mit dem »Brain-Boy«. Allen diesen Verfahren ist gemeinsam, dass sie dem Wunschdenken vieler Menschen entsprechen, dass alles ganz einfach ist und dass man nur das Richtige üben muss. Erfahrungsgemäß ist jedoch die Biologie eine sehr komplexe und komplizierte Materie.

Götz-Erik Trott
Pillen für den Zappelphilipp? Medikation - Ritalin und andere Medikamente
In: ADS: verstehen - akzeptieren - helfen (vgl. 14 S.271f.)

Ein weiterer Neurotransmitter, der unter Medizinern im Verdacht steht, an der Symptomatik der Hyperkinetischen Störung beteiligt zu sein, ist das Noradrenalin, auch Norepinephrin genannt. Es ist wie das Dopamin ein Catecholamin, d.h. ein Produkt der Biosynthese aus dem natürlichen Amin Tyrosin. Die noradrenerge Aktivität im Gehirn geht vom Locus coeruleus aus, einer grau pigmentierten Zellgruppe im Boden des IV. Ventrikels. Das noradrenerge System wirkt wie das dopaminerge System v.a. aktivierend (steigert u.a. den Puls), jedoch z.T. in anderen Regionen der Großhirnrinde sowie des Kleinhirns.

Die Befunde zur Bedeutung des Noradrenalins in der Verursachung der Hyperkinetischen Störung lassen noch keine eindeutige Funktion dieses Botenstoffs erkennen. Aufmerksam wurde die Medizin auf das Noradrenalin, weil die Behandlung von hyperkinetischen Patienten mit Antidepressiva bisweilen Erfolge zeigte. Zum Einsatz kamen dabei Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (Reboxetin - Markenname ® Edronax), Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (Venlafaxin - Markenname ® Trevilor) sowie Medikamente, welche die Monoaminooxidase, einen Catecholaminabbauprozess, verhindern (u.a. Moclobemid - Markenname ® Aurorix). Keiner dieser Wirkstoffe hat sich jedoch als nur näherungsweise so effektiv in der Behandlung des Hyperkinetischen Syndroms erwiesen wie Methylphenidat. (13)

Dass die Beeinflussung des noradrenergen Systems derzeit so stark diskutiert wird, hängt weniger mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zusammen als vielmehr mit dem gesellschaftspolitischen Interesse, das der medikamentösen Behandlung von hyperkinetischen Kindern derzeit entgegengebracht wird. Hierbei geht es vor allem um den Einsatz des Amphetaminderivats Methylphenidat (® Ritalin bzw. ® Medikinet), dem v.a. in der Boulevardpresse trotz gegenteiliger Forschungslage ein Suchtpotential unterstellt wird. (14) Manche Pharmafirmen, aber v.a. viele pseudotherapeutische Schulen und Sektenunternehmen versuchen, aus der Diskussion Kapital zu schlagen und meist in ihrer Wirksamkeit zweifelhafte oder gar schädliche "Naturheilmittel" und Psychotechniken als geeignete Therapien zu verkaufen. Ob die insbesondere vom Pharmakonzern Lilly betriebene Konzentration auf das noradrenerge System mit der intensiven Neuvermarktung einer bereits seit Jahren bekannten Substanz (Atomoxetin - Markenname ® Tomoxetin) tatsächlich einen bedeutenden neuen Bereich der wissenschaftlichen Betrachtung und medikamentösen Therapie der Hyperkinetischen Störung erschließen wird, ist allerdings fraglich. (15)

 

Immunsystem und komorbide Störungen

Bei einem Vortrag des Kinderschutzbundes höre ich von der referierenden Ärztin zum ersten Mal etwas von der Phosphatempfindlichkeit und dem Verhalten dieser Kinder. Ich gehe mit beiden Buben zu dieser Ärztin, und wir beginnen mit der Umstellung der Ernährung. [...] Wir leben alle mit der Ernährungsumstellung, zunächst ohne Erfolg. Nach einem Vierteljahr tritt bei E. eine Besserung ein, er wird etwas ruhiger, die Schrift wird besser, er liest sogar über einen längeren Zeitraum hinweg ein Buch. Etwa ein halbes Jahr nach der Einführung der phosphatarmen Ernährung zeigen sich auch bei S. erste Erfolge, die Schulleistungen werden sehr viel besser. Ein Lehrer sagt zu ihm: »Sind Sie ein fauler Hund gewesen!« Unsere Nahrungspalette ist inzwischen extrem eingeschränkt, wir müssen zusätzlich Vitamine, Kalzium etc. einnehmen. Einige Verhaltensauffälligkeiten bleiben dennoch unverändert: Impulsivität, Verständnis- und Wahrnehmungs- schwierigkeiten bleiben bestehen, aber außer in Streßsituationen sind sie deutlich ruhiger geworden.

Johanna Krause
Leben mit hyperaktiven Kindern.
Piper/C&H (1995) S.94f.
(aus dem Kapitel:
Werdegang dreier hyperaktiver Kinder)

Über viele Jahre standen Reaktionen des Immunsystems im Verdacht, die Hyperkinetische Störung auszulösen. Vorreiter dieser Bewegung war der amerikanische Arzt und Allergologe Benjamin Feingold, der in den 1970er Jahren mit Veröffentlichungen über eine spezielle Diät, die Feingold-Diät, berühmt wurde. 1976 wurde die Feingold Association of the United States (FAUS) gegründet, die bis heute Tausende von Mitgliedern, v.a. Familien mit hyperaktiven Kindern, repräsentiert. Der zunächst erhobene Anspruch, die Hyperkinetische Störung allein durch allergische Immunreaktionen auf bestimmte Nahrungsmittel und Ergänzungsstoffe (u.a. Phosphate) erklären und mit dem Verzicht auf solche Nahrungsbestandteile behandeln zu können, wurde in späteren Jahren jedoch aufgegeben. 1980 wurde in Deutschland die Phosphatliga gegründet, die zunächst primär den Ideen Feingolds verpflichtet war. Bereits 1987 erfolgte jedoch die Umbenennung in Arbeitskreis Überaktives Kind (AÜK), da man rasch erkannte, dass die Phosphat-Theorie zu kurz griff und eine Diät nur bei einem Teil der entsprechend ernährten Kinder eine Symptomverringerung brachte. Nichtsdestotrotz werden Ernährungseinflüsse auf die Symptomatik der Hyperkinetischen Störung noch immer diskutiert und Diäten v.a. in populären Erziehungsratgebern zum Thema angepriesen. (16)

Obwohl die Symptome der Hyperkinetischen Störung, insbesondere die Hyperaktivität, durchaus Ähnlichkeit mit Verhaltensweisen bei allergischen Reaktionen haben, konnte bislang ein systematischer Zusammenhang der Verhaltensstörung mit Allergien oder der Unverträglichkeit bestimmter Nahrungsmittel nicht nachgewiesen werden. Da in den letzten Jahren (auto-)immunologische Vorgänge im menschlichen Körper als Faktoren bei der Entstehung von Zwangs- und Ticstörungen identifiziert wurden, ist es allerdings nicht gänzlich auszuschließen, dass in den nächsten Jahren auch im Fall der Hyperkinetischen Störung Infekte bzw. durch diese provozierte Immunreaktionen als Faktoren ermittelt werden. Es erscheint jedoch auch für die Zukunft unwahrscheinlich, dass einzelne Ursachen für das vielschichtige Störungsbild zu finden sind. Eine durch spezielle Antikörper (IgE) vermittelte hyperkinetische Symptomatik, wie sie im Fall von atopischen Erkrankungen der Haut (z.B. Neurodermitis) bzw. Schleimhaut denkbar wäre, ist bisher nicht beobachtet worden.

Insgesamt sind komorbide, d.h. überzufällig gemeinsam auftretende kinder- und jugendpsychiatrische Störungen zwar ein Hinweis auf mögliche gemeinsame Ursachen. Komorbidität allein begründet jedoch noch keinen kausalen Zusammenhang zwischen einzelnen Störungen, zumal gerade unter dem Aspekt einer gestörten Entwicklung genetische, physiologische und psychische Faktoren nicht isoliert zu betrachten sind. So wird bei rund 60% aller Kinder, die an einer multiplen Tic-Störung (Tourette-Syndrom) leiden, zugleich eine Hyperkinetische Störung diagnostiziert. Allerdings sind für das Auftreten einer hyperkinetischen Symptomatik vor den Symptomen der Tic-Störung eigenständige Ursachen anzunehmen, während die Ausbildung hyperkinetischer Verhaltensweisen nach dem Auftreten der Tic-Störung meist als Teil des Tourette-Syndroms zu erklären ist. Gleichermaßen ergibt sich aus dem häufig gemeinsamen Auftreten von Hyperkinetischem Syndrom und Teilleistungsstörungen bei rund 20-30% der hyperkinetischen Kinder kein ursächlicher Zusammenhang der Störungen. (17) Weder störungsübergreifende genetische Anlagen noch vermeintliche psychische Wechselwirkungen sind aus den heute vorliegenden klinischen Befunden eindeutig abzuleiten. Handelt es sich bei der Behinderung im Lern- und Leistungsvermögen nicht nur um eine soziale Folge der verminderten Aufmerksamkeit sowie des gestörten Verhaltens, sondern um ausgeprägte Defizite in einem bestimmten Bereich der intellektuellen Begabung, so liegt vermutlich eine eigenständige Störung vor. Wie jemand, der einen Schnupfen hat, sich auf dem Weg zur Apotheke ein Bein brechen kann, so kann die Hyperkinetische Störung mit einer Vielzahl an psychischen und auch körperlichen Auffälligkeiten einhergehen bzw. deren Auftreten sogar begünstigen, ohne dass aus diesem Grund eine gemeinsame Ursache anzunehmen ist.

 

Gifte und andere Schädigungen des Gehirns

In rund 20 Prozent der Fälle, bei welchen Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen eine Hyperkinetische Störung diagnostiziert wird, ist unklar, welche Ursachen die beobachtete Symptomatik hat. Das heißt nicht, dass wir in jedem Einzelfall der verbleibenden ca. 80 Prozent genau wissen, was die Störung wie auslöst oder begünstigt. Allerdings ergibt sich für diese große Mehrheit an Betroffenen und ihre Krankengeschichte ein klares Bild: Die Symptome sind eindeutig und treten in typischer Einheit miteinander auf; die Vorgeschichte der Störung lässt ein durchgängiges Muster an Auffälligkeiten (z.B. motorische Unruhe) erkennen, das eine diesbezügliche biologische Anlage vermuten lässt; Eltern und/oder Geschwister der Patienten zeigen vergleichbare Verhaltensauffälligkeiten; und - jedoch nicht als Diagnosekriterium zu verstehen - die Behandlung mit den heute gebräuchlichen stimulierenden Medikamenten ist fast immer wirkungsvoll. Demgegenüber lassen sich die genannten 20 Prozent an Betroffenen, denen ebenfalls eine Hyperkinetische Störung attestiert wurde, nicht so einfach hinsichtlich Symptomatik und Verlauf zusammenfassen. Dies lässt vermuten, dass deren besondere Auffälligkeiten zumindest teilweise auf andere Ursachen als eine angeborene und durch die Sozialisation ausgeprägte abweichende neurobiologische Anlage zurückzuführen sind. Welche Ursachen sind hierbei denkbar?

Zum einen Intoxikationen, d.h. Vergiftungen durch Substanzen, die dem Körper von außen zugeführt oder von ihm selbst in schädlicher Konzentration hergestellt werden. Als Intoxikation bezeichnet man dabei nicht nur lebensbedrohliche Vergiftungen, sondern jede schädliche Wirkung von Substanzen auf einen Organismus, also beispielsweise auch die schleichende Gesundheitsbeeinträchtigung durch Schadstoffe in der Luft. Insofern besteht eine fließende Grenze zwischen Intoxikationen und Allergien: Während die Intoxikation das Übermaß einer Substanz an einer bestimmten Stelle des Organismus voraussetzt, wird die Allergie durch eine Überempfindlichkeit des Organismus bedingt, der bereits alltägliche Konzentrationen einer Substanz (z.B. Pollen verschiedener Gewächse) nicht mehr ohne Beeinträchtigung seiner normalen Funktion toleriert. 

Obgleich für die Hyperkinetische Störung bislang keine allergischen Reaktionen als Ursache oder auch nur Teilfaktor der Symptomatik nachgewiesen werden konnten, weiß man, dass einige Substanzen in überhöhter Konzentration insbesondere hyperaktives Verhalten auslösen können. Dazu zählen u.a. Blei, Kupfer (auch in Verbindung mit einer Schilddrüsenüberfunktion) und andere Schwermetalle, aber auch Alltagsdrogen wie Coffein. Je nach der körperlichen Verfassung eines Menschen sowie in Wechselwirkung mit anderen Substanzen kann eine Vielzahl weiterer Wirkstoffe hyperkinetische Symptome hervorrufen, deren Grund jeweils individuell abgeklärt werden muss, wenn eine betroffene Person in einer entsprechend belasteten Umwelt lebt bzw. einschlägige Substanzen in unüblicher Menge konsumiert. Des weiteren können auch körpereigene Substanzen wie beispielsweise Schilddrüsenhormone Hyperaktivität auslösen; die Bestimmung der verschiedenen Thyroxin-Parameter zum Ausschluss einer Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose) gehört daher zur Basisdiagnostik beim Verdacht auf das Vorliegen einer Hyperkinetischen Störung. 

Allerdings sind die wechselseitigen Bedingungen von physiologischer Disposition und Umwelteinwirkungen so vielschichtig, dass die oft zahlreichen Faktoren bereits eines einzelnen Symptoms nur schwer zu isolieren und zu messen sind. Solange die klinische Symptomatik von auffällig unaufmerksamen, unruhigen und impulsiven Menschen nicht nachweislich auf die Intoxikation durch einzelne Substanzen zurückzuführen ist, muss die Diagnose einer Hyperkinetischen Störung auch dann als berechtigt gelten, wenn das Krankheitsbild und die Krankengeschichte weitere Ursachen zwar nahelegen, die in Frage stehenden Faktoren die Krankheit jedoch weder schlüssig noch ausschließlich erklären können.

 

In America I have often observed that on the Roofs of our shingled Houses where Moss is apt to grow in northern Exposures, if there be any thing on the Roof painted with white lead, such as Balusters, or Frames of dormant Windows, &c. there is constantly a streak on the Shingles from such Paint down to the Eaves, on which no Moss will grow, but the Wood remains constantly clean & free from it.--We seldom drink Rain Water that falls on our Houses; and if we did, perhaps the small Quantity of Lead descending from such Paint, might not be sufficient to produce any sensible ill Effect on our Bodies. But I have of a Case in Europe, I forgot the Place, where a whole Family was afflicted with what we call the Dry-Bellyach, or Colica Pictonum, by drinking Rain Water. It was at a Country Seat, which being situated too high to have the Advantage of a Well, was supply'd with Water from a Tank which receiv'd the Water from the leaded Roofs. This had been drank several Years without Mischief; but some young Trees planted near the House, growing up above the Roof, and shedding their Leaves upon it, it was suppos'd that an Acid in those Leaves had corroded the Lead they cover'd, and furnish'd the Water of that Year with its baneful Particles & Qualities.

Benjamin Franklin
Brief an Benjamin Vaughan (1786), zitiert nach einer Kopie in der US Library of Congress

So hatte ich mich in Michels Alter vor dem Kindergarten von der Hand meiner Erzieherin losgerissen und vollbrachte am Kotflügel eines vorbeifahrenden Autos einige artistische Übungen. Daraufhin landete ich mit einem doppelten Salto ohne Netz und keiner weiteren Sicherung als der Krankenversicherung meiner Eltern auf der Chirurgie unseres Provinzhospitals. Da mein Großvater dort früher Chefarzt, meine Mutter Ärztin gewesen war, nahm man sich meiner äußerst zuvorkommend an. Meine Eltern waren zu dieser Zeit im Urlaub und unerreichbar. Zurück in der Heimat schenkten sie dem kleinen Patienten ein Postauto, das batteriegetrieben eine Runde auf dem Krankenhausfußboden drehte, wenn man oben zehn Pfennig einwarf. Da ich viel Besuch bekam und sehr eindringlich betteln konnte, verließ ich das Spital als reicher Mann.

Johannes Streif
Michel aus Lönneberga - Kind hoch drei
In: Ein Herz und eine Serie. Hrsg. von Bettina Brömme
& Thomas Endl
Reclam Leipzig (1999) S.138

Ein weiteres graues Feld möglicher Ursachen der Hyperkinetischen Störung jenseits der vererbten und durch die individuelle Entwicklung beeinflussten neurobiologischen Disposition sind Schädigungen des Gehirns. Solche sogenannten Läsionen können vielgestaltiger Natur sein und ihrerseits verschiedene Ursachen haben. Bei Auffälligkeiten in zentral vom Gehirn gesteuerten Funktionen, zu denen psychiatrische und neurologische Erkrankungen sowie Verhaltensstörungen zählen, ist die gängigste Annahme eine prä- oder perinatale Schädigung von Hirnstrukturen. Pränatale Schädigungen sind Fehlentwicklungen oder Zerstörungen von Bereichen des Gehirns vor der Geburt. Sie können einerseits durch Substanzen verursacht werden, welche die Mutter als Nahrung oder durch Atmung und Haut zu sich nimmt, andererseits aber auch durch den Mangel an lebensnotwendigen Grundstoffen. In diesem Sinne erhöht das Rauchen bzw. Passivrauchen von Müttern die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind an der Hyperkinetischen Störung leidet, wobei möglicherweise in vielen Fällen sowohl die mütterliche Nikotinabhängigkeit als auch die kindliche Verhaltensstörung auf einer genetisch vermittelten gemeinsamen Disposition beruhen. (18) Denkbar sind aber auch pränatale Schädigungen durch physische Einwirkungen, bei denen unfall- oder gewaltbedingt der Fötus im Mutterleib verletzt wird. Perinatale Schädigungen sind hingegen Zerstörungen der Hirnstruktur, die im zeitlichen Umfeld der Geburt des Kindes entstehen. Sie werden meist durch Sauerstoffmangel oder physische Einwirkungen während der Geburt verursacht. Sowohl vor- als auch frühe nachgeburtliche Schädigungen des Gehirns sind nicht selten unspezifischer Art, d.h. sie sind nicht immer mit bildgebenden Verfahren eindeutig zu erfassen und in ihren Konsequenzen für die Entwicklung und das Verhalten des Kindes beschreibbar. Die Idee der prä- oder perinatalen Schädigung des Gehirns bestimmte das frühere Konzept des Minimale Brain Damage bzw. der Minimalen Cerebralen Dysfunktion (vgl. Namen der Störung).

Natürlich kann es auch im späteren Leben zu Schädigungen an Hirnstrukturen kommen. Diese geschehen häufig durch Unfälle, die umschriebene Bereiche des Gehirns betreffen. Solche durch physische Einwirkungen verursachten Läsionen sowie ihre Konsequenzen zog bereits 1902 der englische Arzt George F. Still zur Charakterisierung der Symptomatik der späteren Hyperkinetischen Störung heran (s.o.). Betroffen vom sogenannten "Frontalhirnsyndrom" sind Menschen, deren Großhirnrinde im Bereich der Stirn verletzt wurde, jener Stelle also, an der die Exekutiven Funktionen angesiedelt sind. Neben den unmittelbaren Unfallfolgen gibt es freilich noch eine große Anzahl weiterer Gründe für bleibende Hirnschädigungen, die von den bereits angeführten Substanzeinwirkungen (Gifte, Drogen) über Mangel- und Stoffwechselerkrankungen bis hin zu erblichen degenerativen, d.h. die Struktur des Gehirns auflösenden Neuropathien reichen. Viele dieser Leiden sind sehr selten, weshalb eine umfangreiche Diagnostik nur dann angezeigt ist, wenn entsprechende Beeinträchtigungen durch spezifische Lebensbedingungen oder Häufungen im Familienkreis nahe liegen. Treten die Symptome einer Hyperkinetischen Störung jedoch erst im Erwachsenenalter auf, so macht es Sinn, zunächst krankhaften Veränderungen im Gehirn nachzugehen, bevor eine retrospektive Diagnose von hyperkinetischen Auffälligkeiten oder gar eine vorschnelle Therapie versucht wird. 

Dennoch. Wie im Fall der komorbiden Störungen bereits festgestellt, so gilt auch hier, dass die Hyperkinetische Störung für die Mehrzahl der Schädigungen des Gehirns weder ein begünstigender Faktor noch ein Ausschlusskriterium ist. Hyperkinetiker können wie anderen Menschen auch an den neurologischen Folgen von Stoffwechselstörungen, von Unfallschäden oder beispielsweise auch von Hirntumoren leiden. Für die Hyperkinetische Störung spricht eine weitgehende Konstanz der Symptomatik über das gesamte Leben hinweg, wenngleich die unterschiedlichen Lebenssituationen von Kindern und Erwachsenen das gleiche Symptom häufig in unterschiedlichem Licht erscheinen lassen. Gegen eine Hyperkinetische Störung und für pathologische Veränderungen im Organismus spricht demgegenüber eine rasch und unvermittelt sich darstellende Symptomatik - auch und gerade dann, wenn die Psyche des Betroffenen, wenn Emotionen und Verhalten sich überraschend ändern. Dann ist eine Differentialdiagnostik nicht nur sinnvoll, sondern gegebenenfalls lebensrettend.

 

Erziehung und Sozialisation

John M. Gottman
u.a. auf Deutsch:
Kinder brauchen emotionale Intelligenz
Heyne (1998)

 

Väter und Mütter von hyperkinetischen Kindern vereinen in ihrer Erziehungshaltung zudem gleichermaßen Elemente des Coaching, des Gewährenlassens und der Missbilligung, wohingegen die Eltern der diesbezüglich unauffälligen Kinder Nichtbeachtung und Missbilligung mit geringer Toleranz des in Frage stehenden Verhaltens verbinden. Vorderhand mag dies auf eine geringere erzieherische Eindeutigkeit oder Konsequenz der Eltern von ADHD-Kindern schließen lassen. Allerdings begegnen sie dem Ärger ihrer Kinder nicht weniger coachend als die Eltern der Vergleichspopulation; vielleicht  versuchen sie angesichts der geringeren Selbstregulations- kompetenzen ihrer hyperkinetischen Söhne, die Eskalation des Ärgers durch gelegentliche Duldung problematischen Emotionsausdrucks zu vermeiden. Dem entspricht auch die tendenzielle Differenzierung zwischen hyperaktiven und nicht hyperaktiven Kindern innerhalb der Population der vorliegenden Untersuchung. Hier ergeben sich geringere Laisser-faire- und größere Nichtbeachtung / Missbilligung-Werte für die hyperaktiven, jedoch größere  Laisser-faire- und geringere Nichtbeachtung / Missbilligung-Werte für die nicht hyperaktiven Kinder.

Johannes Streif
Meta-Emotion: Emotionale Kommunikation in Familien mit hyperkinetischen Kindern. Diplomarbeit
München (1999) S.167f.

Gleich vorweg: Das, was Psychologie und Psychiatrie heute als die Hyperkinetische Störung bezeichnen, kann nicht durch Erziehung oder anderweitige Umweltprägung hervorgerufen werden! Kritiker der Diagnose sind bis heute jeden Beweis dafür schuldig geblieben, wie sie das systematische Auftreten der spezifischen Verhaltensauffälligkeit durch die unterschiedlichsten Umweltbedingungen erklären können, ohne eine genuine, den Betroffenen innewohnende gleiche Ursache zu akzeptieren. Angesichts der vielfältigen Formen menschlicher Gemeinschaften auf dieser Erde grenzt es ohnehin an ein Wunder, dass wir über die Menschheit hinweg so viele Verhaltensweisen teilen, uns im Denken und Fühlen des anderen so sehr wiederfinden können. Das abendländische Mittelalter sah in dieser moralischen Universalität sogar einen Gottesbeweis, als ob nur der Schöpfer die grundsätzliche Haltung zum Leben allen Menschen gleich habe eingeben können. Aber sollten wir auch nur an einen Sieg der menschlichen Vernunft glauben, so ist es dennoch wunderbar, dass weite Teile der heutigen Menschheit eine gemeinsame Vorstellung vom Menschenrecht haben und sich gleichermaßen gesellschaftlichen Regeln verpflichtet fühlen. Und ausgerechnet die Welt der hyperkinetischen Kinder soll nun eine sein, die diese Kinder nicht oder nicht hinreichend auf eine Gemeinschaft und ihre Regeln vorbereitet?

Der amerikanische Psychologe und Wissenschaftler John Gottman, der v.a. durch seine Forschungen zu Partnerschaft und Familie bekannt wurde, hat in einer aufwendigen Studie 53 Familien mit einem zu Beginn der Untersuchung 4 bis 5 Jahre alten Kind über mehrere Jahre hinweg begleitet. Dabei erfasste er neben einer Vielzahl an psychologischen und soziologischen Daten insbesondere den emotionalen Umgang der Familienmitglieder miteinander. In einem eigens entwickelten Interview befragte er Eltern und Kinder, wie sie mit dem Erleben von Ärger und Traurigkeit an sich selbst sowie an anderen umgehen. 1997 veröffentlichten er und seine Mitarbeiter schließlich die Ergebnisse der Untersuchung in einem umfangreichen wissenschaftlichen Buch. (19) 

Gottman und seine Kollegen fanden heraus, dass die Aufmerksamkeit sowie das strukturierte Eingehen auf die emotionale Verfassung des Kindes einen erheblichen Einfluss auf seine Entwicklung hat. Im Mittel waren die Kinder von emotional zugewandten Eltern, die Ärger und Traurigkeit der Söhne und Töchter sahen, ohne jedoch jede Form der Gefühlsäußerung zu dulden, nach drei Jahren nicht nur emotional reifer und sozial kompetenter, sondern auch intelligenter. Darüber hinaus zeigte eine Reihe von physiologischen Parametern, u.a. EKG*-Messwerte und Laborwerte von Stresshormonen**, dass sich die Kinder in emotional strukturierten Familien auch in ihrer biologischen Verfassung anders entwickelt hatten. Ein Erziehungsstil, der nach der amerikanischen Psychologin Diana Baumrind (20) autoritativ genannt wird und - einfach gesagt - spürbare elterliche Liebe mit erzieherischer Konsequenz verbindet, begünstigte offenbar die Ausbildung der physiologischen Voraussetzungen zur Selbstregulation: eine maximale Steuerung der parasympathischen Aktivität. Das parasympathische Nervensystem erfüllt auf der Seite des vegetativen Nervensystems (Organsteuerung, u.a. Augen, Herz, Lunge) ähnliche die Erregung hemmende Aufgaben wie die frontalen Bereiche der Großhirnrinde auf Seiten der willentlichen Verhaltenskontrolle (die sogenannten Exekutiven Funktionen, s.o.). Die Erziehung hatte also nicht nur einen psychologisch und sozial auch von Außenstehenden (z.B. Lehrern) beobachteten Einfluss auf die Entwicklung der Kinder, sondern sogar einen Effekt auf die körperliche Verfassung und die physiologischen Voraussetzungen zur Selbstregulation. [* Elektrokardiogramm zur Messung der Herzfunktion; ** hier im Urin bestimmte Catecholamine: Dopamin, Noradrenalin, Adrenalin, Cortisol]

Warum wird dies hier so ausführlich dargestellt? Erstens, weil es zur Studie von Gottman und seinen Mitarbeitern bisher in Ansatz und Umfang keine vergleichbare Untersuchung gibt. (21) Zweitens, weil Gottman und Kollegen eine Ausnahme in dieser und anderen ihrer Untersuchungen beschreiben: Kinder, die an einer Hyperkinetischen Störung leiden. Obwohl diese Kinder unter vergleichbar günstigen Sozialisationsbedingungen ebenfalls einen guten und im Vergleich mit nicht-hyperkinetischen Kindern unauffälligen Steuerungsspielraum der parasympathischen Aktivität ausbilden, erreichen sie dennoch nicht das gleiche Maß an Aufmerksamkeitssteuerung und Selbstregulation. (22) Entsprechende Befunde ergaben sich bereits in früheren Studien anderer Wissenschaftler und stützen die Annahme einer spezifischen Entwicklungsverzögerung und auch Entwicklungsabweichung, wie sie in diesem Artikel an anderer Stelle bereits beschrieben wurden. (23) Damit ist keinesfalls bewiesen, dass Erziehung - wie auch andere Umwelteinflüsse - bei hyperkinetischen Kindern wirkungslos ist. Sie hat allerdings bei gleicher Absicht und Hingabe der Erziehenden nicht immer die gleiche Wirkung. Vielleicht sollte man die Hyperkinetische Störung daher weniger nach ihren unmittelbaren Verhaltenseffekten charakterisieren als vielmehr nach dem, was sie an normaler Entwicklung behindert. In diesem Zusammenhang bekommen die vielfältigen Einflüsse der unterschiedlichen Gesellschaften auf dieser Erde, in denen stets auch betroffene hyperkinetische Menschen leben, im Spiegel der Störung ein gemeinsames Gesicht: der erziehungs- und sozialisationsunabhängigen Schwierigkeit, sich selbstgesteuert an die Regeln einer Gemeinschaft anzupassen. Egal, wie diese Regeln aussehen und wer sie vermittelt.

 

Diese Sichtweise offenbart auch, wie unsinnig der Schluss ist, dass der Grund gleicher Verhaltensweisen stets derselbe sein muss - oder verschiedene Verhaltensweisen nicht auch denselben Grund haben können. Nimmt man an, dass ein erheblicher Teil der physiologischen Grundausstattung des Menschen im Sinne seines Temperaments angeboren ist, so bleibt für die Entwicklung nur ein eingeschränkter Spielraum. Hinzu kommt, dass die an die Bedingungen der Situation angepassten Verhaltensweisen zunehmen, je mehr der Mensch in der Lage ist, entsprechende "Zeichen" der Umwelt zu sehen, zu verstehen und auf sie selbstgesteuert zu reagieren. Dennoch kann das eine nicht unabhängig vom anderen betrachtet und erklärt werden. Es ist müßig zu fragen, wieviel Natur und wieviel Kultur wir an einem hyperaktiven Kind sehen, das wagemutig in den Wipfel eines Baumes klettert. Ohne seine Anlage hätte es vielleicht dem Reiz des gefährlichen Kletterns widerstanden oder die Warnungen der Eltern beherzigt; wäre es köperbehindert oder gäbe es in seiner Umwelt keine Bäume, könnte das Kind nicht klettern. Vor diesem Hintergrund die Verhaltensauffälligkeit des hyperkinetischen Kindes, die doch nur angesichts des Mittelmaßes aller Kinder, aller sozialen Entwicklungsverläufe und aller beobachteten Lebenssituationen erkennbar wird, ausschließlich einzelnen Gründen der Erziehung oder Sozialisation zuzuschreiben, ist reichlich naiv. Und wenn ein Kind mit ungünstigem Temperament - unruhig als Baby, laut und ungestüm als Kleinkind, unaufmerksam als Schüler, impulsiv als Jugendlicher in seinen Beziehungen - schließlich ohne Ärzte und Psychologen, ohne Medikamente und Therapien doch ein zufriedener und in der Gesellschaft anerkannter Erwachsener wird, dann spricht das nicht gegen die Diagnose einer Hyperkinetischen Störung und auch nicht gegen die Therapie der Verhaltensauffälligkeit. Es spricht vielmehr für eine große Leistung seiner Eltern, Geschwister, Lehrer und Freunde, die man nicht von jeder Mutter und jedem Vater, nicht von allen Geschwistern und Freunden, nicht von allen Lehrern und Erziehern erwarten kann.

Der Münchner Kinderarzt Walter Eichlseder war einer der ersten in Deutschland, der sich gegen die Unterstellung verwahrte, elterliche oder familiäre Disharmonie könnten die Hyperkinetische Störung hervorbringen. "Man sagt, dass Kinder darunter leiden würden, und dass sie deshalb verhaltensgestört seien. Das erste ist wahrscheinlich richtig, das zweite ist eine Behauptung, die noch nie bewiesen worden ist." (24) Korrelationsstudien, d.h. statistische Berechnungen von Zusammenhängen zwischen zwei oder mehr Informationen, zeigen immer wieder, dass verhaltensauffällige Kinder häufiger als unauffällige Kinder in ungeordneten Familienverhältnissen leben, in Pflegefamilien und Heimen aufwachsen, ja bereits als Kleinkinder zur Adoption freigegeben werden. Doch diese Studien können nicht belegen, was die Ursache und was die Wirkung ist: Waren Eltern und Familie zuerst zerstritten und versäumten so eine gute Erziehung des Kindes - oder begannen sie ihren Streit unter der Last der Erziehung eines kaum zu bändigen Kindes? Ist es denn tatsächlich denkbar, dass die Monate oder wenigen Jahre, die ein adoptiertes Kind bei seinen leiblichen Eltern oder im Heim verbrachte, sein Verhalten auf Dauer bestimmen, und zwar ausgerechnet im Sinne der Symptome einer Hyperkinetischen Störung? Vielleicht gibt es doch diese in der Natur des Menschen liegende Andersartigkeit in Entwicklung und Verhalten, die bereits die Eltern der hyperkinetischen Kinder belastet und - noch unabhängig vom eigenen Kind - Lebensbedingungen schafft, unter denen Beziehungen schwieriger und Gemeinschaften zerbrechlicher sind.

Ist es denn wirklich ein ungeheuerlicher Schuldspruch anzunehmen, dass Partnerschaften und Familien, nicht anders als Schulklassen oder Vereine, am Verhalten eines Kindes scheitern können?! Sie scheitern doch auch an der Attraktivität neuer Beziehungen, scheitern an finanziellen Einschränkungen oder Arbeitszeiten. Mit der Überforderung einer Gemeinschaft durch ein hyperaktives Kind ist kein Urteil über die Schuld des Kind gesprochen, sondern über die unabwägbaren Vorstellungen, wie Eltern, Lehrer oder Freunde mit diesem Kind zu leben hofften. An unseren Erwartungen messen wir uns täglich - und scheitern zwangsläufig immer wieder, da doch niemand weiß, was die Zukunft bringen wird. Alle wissenschaftlichen Untersuchungen haben bis heute nichts an der Unabsehbarkeit zukünftiger Entwicklungen ändern können. Weder psychologische Bindungstheorie noch soziologische Gesellschaftstheorien können letztgültig erklären, was Menschen und Gemeinschaften zu dem macht, was sie sind. (25) Barkley schreibt, erfolgreichen Menschen in der Gesellschaft stünde Demut an angesichts des Umstandes, dass sie weder für sich selbst noch ihre Kinder die Natur geschaffen haben, die eine Voraussetzung des Erfolges ist: eine Physiologie, die gute Selbstregulation und Begabung miteinander verbindet. (26) Für die blinde Arroganz, mit der manche Politiker, Gesellschaftskritiker und selbsternannten Therapeuten auf vermeintlich versagende Eltern, Schulen und gesellschaftliche Strukturen verweisen, gibt es in dieser komplexen Welt wenig Rechtfertigung. Für die Behauptung aber, die Hyperkinetische Störung würde durch Erziehung oder andere Sozialisationseinflüsse verursacht, gibt es gar keine Rechtfertigung!

Extrem zappelig. Keine Minute ruhig. Sorgt bei Tisch nur für Aufregung. Verschüttet regelmäßig etwas. Frisst in sich hinein. Strahlt Unruhe aus, sobald er den Raum betritt. Zündelt. Wenn er die Treppe herunterstürzt, ist das nicht nur laut, sondern ungeschlacht und vehement. Spielt um sechs Uhr früh mit dem Eishockeyschläger im Treppenhaus mit dem Ball. [...]

Die Mutter meinte, wenn sie ihr Kind nicht so liebte und nicht wüsste, dass es im Grunde ein lieber Junge sei, der es nicht so meint, könnte sie das überhaupt nicht mehr aushalten.

Die meisten Mütter betonen, die Geschwister seien auch einmal lebhaft, wild oder ausgelassen. Aber dieses eine Kind hätte eine Art und ein Ausmaß an Aktivität in sich, dass es den Rahmen des in der Familie möglichen sprenge. Es sprengt auch jede Klasse, und es verwandelt jeden Spielplatz in ein Schlachtfeld.

Walter Eichlseder
Unkonzentriert?
Beltz (1996) S.33f.

 

Eine kurze Zusammenfassung

Aus meinem Modell folgt, dass die Behandlung des hyperkinetischen Syndroms auch Eltern und Lehrer einbeziehen sollte. Ergänzend zu einer Therapie der Kinder mit Psychostimulanzien - und in manchen Fällen mit Antidepressiva - müssten die Erzieher darin geschult werden, wie sie mit den Verhaltensauffälligkeiten ihrer Zöglinge gezielter und geschickter umgehen können. Hilfreich ist es beispielsweise, wenn das Kind auf sein Verhalten hin gleich eine Rückmeldung erhält, also möglichst oft und schnell die Konsequenzen erfährt, insbesondere auch Lob und Anerkennung. [...]

Eine wirkliche Heilung für das hyperkinetische Syndrom gibt es wohl nicht, aber man kennt jetzt immer bessere Möglichkeiten, mit dieser bleibenden, oft schwerwiegenden Entwicklungsstörung umzugehen und sie zu meistern. Vielleicht gibt es schon bald genetische Tests dafür und dann auch Pharmaka, die hyperaktiven Kindern noch gezielter helfen.

Russel A. Barkley
Hyperaktive Kinder
In: Spektrum der Wissenschaft 3
März 1999 S.35f.

Die Erforschung der Hyperkinetischen Störung dauert nun bereits mehr als 100 Jahre an. Die vom englischen Arzt George F. Still 1902 erstmals umfassend beschriebene Symptomatik sowie seine Hinweise auf vergleichbare Verhaltensauffälligkeiten bei Patienten mit spezifischen Hirnschädigungen haben schon damals wesentliche Aspekte der Störung erfasst. Nach Jahrzehnten der Fokussierung auf Defekte der Hirnstruktur ermöglichten zu Beginn der 1990er Jahre die modernen bildgebenden Verfahren erstmals auch die Untersuchung des Hirnstoffwechsels. Heute ist davon auszugehen, dass die Störung von Aufmerksamkeit, Aktivität und Impulsivität durch eine Dysregulation des Dopamin-Stoffwechsels entsteht, die sowohl mittelbare Folgen für die willentliche Selbststeuerung (sog. Exekutive Funktionen) hat als auch unmittelbar auf die motorischen Funktionen wirkt. Dabei wird diese Dysregulation primär genetisch vererbt und nur sekundär durch Umwelteinflüsse auf die Entwicklung sowie durch momentane, von der augenblicklichen Situation abhängige Reize bedingt.

Verschiedene in wissenschaftlichen wie populären Foren diskutierte Ursachen der Hyperkinetischen Störung können weitgehend ad acta gelegt werden und haben allenfalls einen beschränkten zusätzlichen Erklärungswert. Dazu zählen einerseits sozioevolutionäre Modelle, die in der Störung ein Überbleibsel früherer mutmaßlich gesellschaftlich sinnvoller Verhaltensweisen sehen, sowie sozialisationstheoretische Ansätze, die eine eigentliche Verursachung der Störung durch die Umwelt, insbesondere durch eine ungeeignete Erziehung der Kinder behaupten. Dazu zählen andererseits aber auch weitestgehend biologisch orientierte Konzepte wie die Annahme von Allergien oder Reaktionen auf unverträgliche Substanzen in Nahrung und Umwelt. Sie alle können durch die gezielte Veränderungen der von ihnen angenommenen Ursachen zwar einzelne Symptome zu mehr oder minder großen Teilen beeinflussen, nicht aber die Hyperkinetische Störung als Einheit in ihrer Kultur und Biologie übergreifenden Symptomatik erklären. Ihr "Fehler" liegt in der Suche nach Ursachen, die einen unmittelbaren eindeutigen Effekt auf das Verhalten der Betroffenen haben, statt von einer Störung auszugehen, welche die individuelle Anpassung des Einzelnen an die jeweils gegebenen Umweltbedingungen behindert.

Natürlich wird auch die aktuelle wissenschaftliche Vorstellung der Hyperkinetischen Störung und ihrer Ursachen nicht zeitlos bestehen bleiben. Dennoch ist sie schon heute so ausgereift und detailliert, dass sie die Grundlage einer genauen und ihrer Verantwortung bewussten Diagnostik und Therapie sein kann. Verallgemeinernde Aussagen, welche jede Kenntnis der Ursachen dieser Verhaltensstörung leugnen oder auch die medizinische wie psychologische Therapie insgesamt infrage stellen, sind unlauter, da sie sich nicht auf die vorliegenden Befunde stützen. Wie notwendig vertiefte Kenntnisse sind - so sehr sich das aktuelle Interesse an der Hyperkinetischen Störung auch aus den Problemen gerade unserer modernen Industriegesellschaften mit unaufmerksamem, unruhigem und impulsivem Verhalten nähren mag -, zeigt nicht zuletzt die Polemik, mit der diese Störung mehr als jede andere in der Öffentlichkeit diskutiert und durch Vertreter vielfältiger Verbände politischer und wirtschaftlicher Natur in deren Interesse vereinnahmt wird. Darunter leiden nicht nur die Betroffenen, deren augenblickliche Not zum Spielball und Faustpfand zukünftiger sozialer Reformen gemacht wird - darunter leidet auch eine Gesellschaft, die durch die wachsenden Freiheiten des Einzelnen mehr denn je auf seine Selbstkontrolle angewiesen ist.

 

Weitere Informationen zur Hyperkinetischen Störung

Symptome der Störung
Diagnose der Störung
Therapieformen
 

Verweise auf Fachliteratur

(1)

Still, G.F. (1902). Some abnormal psychical conditions in children. In: Lancet 1 S.1008-1012, 1077-1082, 1163-1168

Ich weiß es nicht, weiß im Grunde in all meinem Alter nicht mehr als zu Kinderzeiten zu wissen war. Bin ich denn reifer geworden durch die vielen Tage, in denen meine Sinne eine Welt aufnahmen, die sich dem Verstehen der Menschen entzieht? Nicht weiter ist mein Blick geworden, dass ich mehr sehe als je zuvor, doch nur allenfalls durchdringender, schärfer aus Schulung, unterscheidender und bewusster. Aber die Schule war ganz eigen, ein geschlossener Raum ohne Fenster, ein komplexes, bis in hinterste Windungen durchdachtes System, ein Modell freilich, dessen äußere Grenzen der denkenden menschlichen Mitte entwucherten, bis dass sie, unabsehbar am Ende der hypertrophierenden Formel mitwachsend, zur Negierung mehr als genügend entrückt schienen. Im Mikrokosmos der unendlich zu stückelnden Kleinheit erwuchs mir und allen ein Abbild des universalen Großen, das mehr und mehr zu durchschauen unserem eitlen Fortschrittsglauben gefiel wie ein rasches Erwachsenwerden und Emanzipieren. Wie überheblich aus der Sicht des Ganzen, das es nicht zu greifen und schwerlich vorzustellen gibt, weil wir mit jeder Spaltung der Durchdringung doch nur an Einzelheiten rätseln und auch nicht zweierlei des Kleinsten uns Bekannten aufzureihen wissen! Für jedes Modell finden wir eine Ordnung, ja es wird in seinem Wesen selbst zu ihr, zuletzt von den Philosophen gar zur Folge der Ordnungen verkehrt, die diese in ihren gefesselten Geistern entwerfen. Natürlich wissen wir, dass die Zusammenfassung der Modelle kein Modell mehr sein darf, dass, weil wir Menschen Schöpfer mit faktischem, immanentem Sein sind, über dem Transzendenten die Determination des Vorhandenen steht. Doch das Unbegreifliche verfängt sich in der Vorstellung, kommt nicht über sie hinaus, und so steht über all den Modellen und Ordnungen, die wir uns im Entdeckerglauben schufen, wieder nur ein Modell, - das Weltmodell.

Vielleicht mag es dem einen oder anderen obskur und unrecht erscheinen, den relativen Fortschritt der Menschheit, der so offensichtlich nicht zu bestreiten sei, um des geringen absoluten Fortschritts zu verwerfen. Immer, das sage auch ich mir, gibt es etwas zu verbessern, was bedeutet, dass das wahrhaft Gute in unendlicher Ferne liegt. Dem Unendlichen aber kann man sich nicht nähern, und so fürchte auch ich die Entwertung jeder Bemühung aus der Größe des Ideals. [...]

Wir alle leben nach einem bestimmten Lebensschema, das die Erfahrung mit der Welt und uns selbst entworfen hat, das uns in Situationen führt und Augenblicke auf einzigartig freie und doch vorgezeichnete Art durchleben lässt. Unser Sein wird auf tausendfach in sich selbst reflektierte Weise ein Bewusstsein, das als Modell Denken und Handeln in stets antizipierender und trotzdem gegenwärtiger Führung vorantreibt. Ich lebe aus meinem Modell, dem meines Erfassens und dem Weltmodell, das die Menschheit sich in Zivilisation, Wissenschaft und Kultur geschaffen hat, lebe aus den ordnenden und regelnden Prinzipien meiner Zeit, lebe aus der Ordnung selbst. Ich kann nicht umhin, dass mein Sein das Wundmal meiner Beschränktheit trägt, die mehr ist als nur die Begrenzung durch das Vorhandene, durch mein ins Leben gestelltes Dasein. Alles was ich tue, und auch jenes, das ich sein lasse, mein Reden und mein Schweigen, mein Denken und meine vielfältige Unberührtheit, alles ist gezeichnet mit den Spuren meiner Wesenhaftigkeit, die ideell fortlebt in den materiellen und immateriellen Dingen, deren Ursprung ich war.

Joshua Cyriac
Tom (1989) S.61f.

 

(2) Moll, G.H; Rothenberger, A. (2001). Neurobiologische Grundlagen. Ein pathophysiologisches Erklärungsmodell der ADHD. In: Kinderärztliche Praxis. Sonderheft "Unaufmerksam und hyperaktiv", S.9-15
(3) Brand, C. (1995). Cyril Burt: Fraud or Framed? A Review. In: Nature 377, S.394-395
(4) Rutter, M.; Silberg, J.; O'Connor, T.; Simonoff, E. (1999). Genetics and Child Psychiatry: II Empirical Research Findings. In: Journal of Child Psychology and Psychiatry 40/1, S.19-55
(5) Hartmann, T. (1993). Attention Deficit Disorder - A Different Perception. Montpelier VT: Mythical Intelligence Inc.
deutsch: Hartmann, T. (1997). ADD - Eine andere Art, die Welt zu sehen. Lübeck: Schmidt-Römhild
Inzwischen ist in den USA eine erneuerte und erweiterte Auflage des Buches erhältlich, die durch E.M. Hallowell (Driven to Distraction - Zwanghaft zerstreut) eingeleitet wird.
(6) Jensen, P.S. et al. (1997). Evolution and Revolution in Chuld Psychiatry: ADHD as a Disorder of Adaptation. In: Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry 36/12, S.1672-1679
(7) Haeckel, E. (1868). Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin: Reimer. Die Darstellung der Ontogenese erfolgt im 12. Vortrag; die Parallelisierung der ontogenetischen und phylogenetischen Stadien nach J. Streif.
(8) Bischof-Köhler, D. (1985). Zur Phylogenese menschlicher Motivation. In: Eckensberger, L.H.;  Lantermann, E.-D. (Hrsg.) Emotion und Reflexivität. Wien: Urban und Schwarzenberg, S.3-47
Eibl-Eibesfeld, I. (1984). Die Biologie menschlichen Verhaltens. München: Piper
Krause, R. (1983). Zur Onto- und Phylogenese des Affektsystems und ihrer Beziehungen zu psychischen Störungen. In: Psyche 37, S.1015-1043
Resch, F. (1996). Entwicklungspsychopathologie des Kindes und Jugendalters. Weinheim: Beltz PVU, v.a. S.113-127 (Exkurs: Zur Phylogenese des Denkens)
(9) Dresel S.; Krause, J.; Krause, K.-H.; LaFougere, C.; Brinkbaumer, K.; Kung, H.-F.; Hahn, K.; Tatsch, K. (2000). Attention deficit hyperactivity disorder: binding of [99mTc]TRODAT-1 to the dopamine transporter before and after methylphenidate treatment. In: European Journal of Nuclear Medicin 27/10, S.1518-1524
Moll, G.H.; Wicker, M.; Bock, N.; Rüther, E.; Rothenberger, A.; Huether, G. (2000). Age-associated changes in the densities of presynaptic monoamine transporters in different regions of the rat brain from early juvenile life to late adulthood. In: Developmental Brain Research 119, S. 251-257
(10) Barkley, R.A. (1997). ADHD and the Nature of Self-control. New York: Guilford Press; eine populärwissenschaftliche Zusammenfassung auf Deutsch in:
Barkley, R.A. (1999). Hyperaktive Kinder. In: Spektrum der Wissenschaft 3, S.30-36
(11) Moll, G.H.; Hause, S.; Rüther, E.; Rothenberger, A.; Huether, G. (2001). Early Methylphenidate Administration to Young Rats Causes a Persistent Reduction in the Density of Striatal Dopamin Transporters. In: Jornal of Child and Adolescent Psychopharmacoloy 11/1, S.15-24
(12) Hüther, G.; Bonney, H. (2002). Neues vom Zappelphilipp: ADS/ADHS verstehen, vorbeugen und behandeln. Düsseldorf: Walter.
(13) Trott, G.-E. (1993). Das hyperkinetische Syndrom und seine medikamentöse Behandlung. Heidelberg: Barth.
(14) Biederman, J.; Wilens, T.; Mick, E.; Spencer, T.; Faraone, S. (1999). Pharmacotherapy of Attention-deficit/ Hyperactivity Disorder Reduces Risk for Substance Use Disorder. In: Pediatrics 104/2, S.E20
Huss, M.; Schmidt-Schulz, A.; Hoffmann, K.; Vogel, R.; Lehmkuhl, U. (2000). Wenn ADS »erwachsen« wird - Langzeitverläufe von Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit- Syndrom (ADS): Macht Ritalin süchtig? In: Fitzner, T.; Stark, W. (Hrsg.) ADS: verstehen - akzeptieren - helfen. Weinheim: Beltz, S.184-194
(15) Zerbe, R.L.; Rowe, H.; Enas, G.G.; Wong, D.; Farid, N.; Lemberger, L. (1985). Clinical pharmacology of tomoxetine, a potential antidepressant. In: Journal of Pharmacology and Experimental Therapeutics 232/1, S.139-143
Michelson, D.; Fries, D.; Wernicke, J.; Kelsey, D.; Kendrick, K.; Sallee, F.R.; Spencer, T. (2001). Atomoxetine in the treatment of children and adolescents with attention-deficit/hyperactivity disorder - a randomized, placebo-controlled, dose-response study. In: Pediatrics 108/5, S.E83 [Diese Studie wurde von den Lilly Research Laboratories in Zusammenarbeit mit der Indiana University School of Medicine durchgeführt]
(16) Egger, J. (2000). Möglichkeiten von Diätbehandlungen bei hyperkinetischen Störungen. In: Steinhausen. H.-C. (Hrsg.) Hyperkinetische Störungen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Stuttgart: Kohlhammer, S.117-126
Schmidt, M.H.; Egger, J. (1998). Die Wirksamkeit einer oligoantigenen Diät bei Kindern mit expansiven Verhaltensstörungen. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Als Beispiel für Erziehungsratgeber:
Calatin, A. (1992). Das hyperaktive Kind. Ursachen, Erscheinungsformen und Behandlung. München: Heyne
Rosival, V. (1992). Hyperaktivität natürlich behandeln. München: Gräfe und Unzer
(17) Pastor, P.N. (2002). Attention Deficit Disorder and Learning Disability: United States, 1997-98. Department of Health and Human Services. Centers of Disease Control and Prevention. National Center for Health Statistics. In: Vital and Health Statistics 10/206
(18) Mick, E.; Biederman, J.; Faraone, S.V.; Sayer, J.; Kleinman, S. (2002). Case-control study of attention-deficit hyperactivity disorder and maternal smoking, alcohol use, and drug use during pregnancy. In: Journal of the American Academy for Child and Adolescent Psychiatry 41/4, S.378-385
(19) Gottman, J.M.; Katz, L.F.; Hooven, C. (1997). Meta- Emotion. How Families Communicate Emotionally. Mahwah NJ: Lawrence Erlbaum Associates
(20) Baumrind, D. (1965). Parental control and parental love. In: Children 12, S.230-234
Baumrind, D. (1966). Effects of authoritative parental control on child behavior. In: Child Development 37/4, S.887-907
(21) Eine Übertragung des Interviews ins Deutsche sowie eine Überarbeitung erfolgte 1999 durch
Schmidt, M.; Brinkmann, A.; Lukas, C.; Streif, J. (1999). Meta-Emotion-Interview. Erwachsene / Jugendliche. Interviewleitfaden - unveröffentlichtes Typoskript. München: Ludwig-Maximilians-Universität
Eine Übertragung des Meta-Emotion Coding System von Hooven, C. (1994) The Meta-Emotion Coding System. Coding Manual. Unveröffentlichtes Typoskript, erfolgte 1999 durch Streif, J.; Erweiterung und erste Anwendung in der Diplomarbeit von
Streif, J. (1999). Meta-Emotion: Emotionale Kommunikation in Familien mit hyperkinetischen Kindern. Diplomarbeit. München: Ludwig-Maximilians- Universität.
(22) Gottman, J.M.; Wilson, B.J. (1996). Attention – The Shuttle Between Emotion and Cognition: Risk, Resiliency, and Physiological Bases. In: Hetherington, E.; Blechman, E.A. (Hrsg.) Stress, Coping, and Resiliency in Children and Families. Mahwah NJ: Lawrence Erlbaum Associates, S.189-228.
Vgl. auch (19) S.120f.
(23) Porges, S.W.; Raskin, D.C. (1969). Respiratory and heart rate components of attention. In: Journal of Experimental Psychology 81, S.497-503
Porges, S.W.; Walter, G.F.; Korb, R.J.; Sprague, R.L. (1975). The influence of methylphenidate on heart rate and behavioral measures of attention in hyperactive children. In: Child Development 46, S.727-733

Porges, S.W. (1991). Autonomic regulation and attention. In: Campbell, B.A.; Hayne, H.; Richardson, R. (Hrsg.) Attention and information processing in infants and adults. Hillsdale NJ: Lawrence Erlbaum Associates, S.201-223
Porges, S.W.; Doussard-Roosevelt, J.A.; Portales, A.L.; Suess, A. (1994). Cardiac vagal tone: Stability and relation to difficultness in infants and 3-year-olds. In: Developmental Psychobiology 27, S.289-300

Degangi, G.A.; DiPietro, J.A.; Greenspan, S.I.; Porges, S.W. (1991). Psychophysiological characteristics of the regulatory disordered infant. In: Infant Behavior and Development 14, S.37-50
(24) Eichlseder, W. (1996). Unkonzentriert? Hilfen für hyperaktive Kinder und ihre Eltern. 4. Aufl. Weinheim: Beltz, S.110
(25) Barkley, R.A. (1997). ADHD and the Nature of Self-control. New York: Guilford Press, S.319
(26) Bindungstheorie:
Bowlby, J. (1969) Attachment. Attachment and loss (1). London: Hogarth Press / New York: Basic Books
Bowlby, J. (1973) Separation: Anxiety & Anger. Attachment and loss (2). London: Hogarth Press / New York: Basic Books

Grossmann, Kl.E.; Grossmann, Ka.E. (2001). Bindungsqualität und Bindungsrepräsentation über den Lebenslauf. In: Röper, G.; von Hagen, C.; Noam, G. (Hrsg.) Entwicklung und Risiko. Perspektiven einer Klinischen Entwicklungspsychologie. Stuttgart: Kohlhammer, S. 143-168
Antisozialisationshypothese:
Harris, J.R. (2000). Ist Erziehung sinnlos? Die Ohnmacht der Eltern. Hamburg: Rowohlt
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